Umberto Eco, Der Name der Rose
München 199923, Deutscher Taschenbuch Verlag
ISBN 3423105518, ATS 149.00 / Euro 10.83
Vorweg: Die Spannungsmomente sind großartig durchgeführt. Es ist in dieser Hinsicht, so scheint es zunächst, ein gewisser - auch literarischer - Genuß, dieses Buch zu lesen. Geistreich versteht es Eco, die persönliche Geschichte des Benediktinernovizen Adson von Melk und seines vorübergehenden Betreuers und Lehrmeisters, des Franziskaners William von Baskerville, einzuweben in die historischen Umstände der damaligen Zeit. Der Leser wird fast unmerklich eingeführt in die Welt des Mittelalters und seiner Gebräuche, vor allem aber in die kirchliche Ordnung und das philosophische und theologische Denken dieser Zeit. Ein Buch und ein Labyrinth stehen im Mittelpunkt der kriminologischen Nachforschungen innerhalb der geheimnisvollen italienischen Abtei, in der die beiden für eine Woche als Gäste weilen. Auch lateinische Zitate würzen die Lektüre des Romans (mit Übersetzung im Anhang).
Daß das Ganze in vielem aussieht wie eine "Skandalgeschichte des mittelalterlichen Christentums", wird der geneigte Leser dem agnostischen Semiotiker und Romancier Eco noch verzeihen. Innerlich fühlt man mit dem jungen Mönch Adson mit, der erlebt, wie William versucht, eine Serie von Verbrechen aufzuklären, die den Konvent eines italienischen Benediktinerklosters in Atem halten.
Allerdings: Die Ernüchterung folgt, und zwar derart massiv, daß sich der Leser entscheiden muß, ob er nach Seite X das Buch nicht besser weglegen sollte.
Das besagte Skandalon wird in der literarischen Gestalt eines Traumes dargeboten, was ein raffiniertes Stilmittel darstellt, da es jederzeit der Entkräftigung des Dargebotenen dienen kann. Adson träumt die sog. "Coena Cypriani". Dabei handelt es sich um ein fiktives Trinkgelage, in dem die Heiligen und Großen des Alten und Neuen Testaments mitwirken und ihre liederlichen Späße treiben. Hier ist es unmöglich, Dinge wiederzugeben, von denen ein Christ lieber gar nicht reden soll (vgl. Eph 5,3). Eco tut es, und genau das ist das Ärgernis!
Daß dann der eigentlich Schuldige an allen Verbrechen in der Abtei der freudlose und grimmige blinde Mönch Jorge ist, der all das Unheil anrichtet, weil er im Namen seiner einseitigen Frömmigkeit die Mönche und die Welt vor der angeblichen Gefahr des verschollenen Aristoteles-Werkes "Poetik" schützen will (das den Wert des Lachens, der Ironie und der Komödie verteidigt), erweckt den Verdacht, daß Eco jeden, der es wagt, ihn für die Lächerlichmachung des Heiligen zu kritisieren, in die Ecke dieses finsteren Mönches stellt, der um seiner fanatischen Überzeugung willen zu allem fähig ist - und sei es zu Morden im Namen Gottes und der Religion.
Derartige Klischees entwerten das Buch als Ganzes und stellen alle angeführten geistreichen und spannenden Momente fundamental in Frage. Somit das Fazit: Obwohl der Roman so vielfach gerühmt wurde, ist er doch nicht unbedingt lesenswert!